Assessor jur. Lars Scheider ist als Abteilungsleiter des Beteiligungsmanagements der Stadtkämmerei der Stadt Frankfurt am Main neben den Grundsatzfragen der Beteiligungssteuerung auch für die kommunale Mandatsbetreuung in den städtischen Beteiligungsunternehmen der Stadt Frankfurt a.M. verantwortlich. Lars Scheider ist außerdem Autor des 2022 erschienenen Dossiers „Der kommunale Mandatsträger im Aufsichtsrat“. Im Interview mit BOARD erläutert Lars Scheider das Gemeindeverfassungsrecht, die starke Stellung der Gesellschafterversammlung und besondere Anforderungen an Aufsichtsratsmitglieder im Public Sector. Das Interview für die BOARD führte Dr. Jörg Schick.
BOARD:
Herr Scheider, welche Bedeutung hat der kommunale Aufsichtsrat für den Public Sektor in Deutschland?
Lars Scheider:
Mit rd. 16.000 Unternehmen im kommunalen Besitz (fast 90 % des gesamten öffentlichen Sektors als Spiegelbild der föderalen Struktur in Deutschland) ist der kommunale Aufsichtsrat keine Nischen-Thema. Denn in der Regel werden 50 bis 70 % der Daseinsvorsorgeleistung von den deutschen Städten mit kommunalen Beteiligungsunternehmen dem Bürger gegenüber erbracht.
BOARD:
Was unterscheidet den kommunalen Aufsichtsrat von anderen Aufsichtsräten?
Lars Scheider:
Wer die Funktion kommunaler Aufsichtsräte verstehen will, kommt an dem Gemeindeverfassungsrecht und der dadurch normierten starken Stellung der Gesellschafterversammlung nicht vorbei. Das „Auseinanderfallen“ der Anteilseigner Funktion der Gebietskörperschaft in Kompetenzen des Gemeindevorstandes und der Gemeindevertretung spiegelt sich auch in der Besetzung der kommunalen Aufsichtsräte wieder.
BOARD:
Können Sie dies bitte genauer erläutern? Was sind die rechtlichen Rahmenbedingungen kommunaler Aufsichtsräte?
Lars Scheider:
Das den Gemeinden durch Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz garantierte Selbstverwaltungsrecht umfasst auch das Recht auf wirtschaftliche Betätigung. Konkretisiert wird dieses Recht für die Stadt Frankfurt a.M. durch die §§ 121 ff. der HGO. In der dort normierten Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung einer Gemeinde steht das Ziel, ihr in möglichst optimaler Form zu ermöglichen, Leistungen im Rahmen der Daseinsvorsorge zu erbringen. Zur Erfüllung dieses Zwecks darf die Gemeinde auch Gesellschaften gründen oder sich an solchen beteiligen, die auf den Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens gerichtet sind (§ 122 Abs. 1 HGO).
Allerdings müssen die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 HGO erfüllt sein, wonach für die wirtschaftliche Betätigung erforderlich ist, dass 1. der öffentliche Zweck die Betätigung rechtfertigt, 2. die Betätigung nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf steht und 3. der Zweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch einen privaten Dritten erfüllt wird oder erfüllt werden kann. Neben den oben genannten drei Voraussetzungen des § 121 HGO muss sichergestellt sein, dass die Haftung und die Einzahlungsverpflichtung der Gemeinde entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit begrenzt ist (§ 122 Abs. 1 Nr. 2 HGO) und die Gemeinde einen angemessenen Einfluss, insbesondere im Aufsichtsrat oder einem entsprechenden Überwachungsorgan, erhält (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 HGO).
BOARD:
Sie sprachen von der starken Stellung der Gesellschafterversammlung, von einem „Auseinanderfallen“ der Gesellschafterfunktion.
Lars Scheider:
Einige Regelungen für die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden gelten ausdrücklich für unmittelbare und für mittelbare Beteiligungen: So ist die Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung (Gemeindevertretung) gemäß § 51 Ziffer 11 HGO für die Errichtung, Erweiterung, Übernahme und Veräußerung von öffentlichen Einrichtungen und wirtschaftlichen Unternehmen sowie eine unmittelbare Beteiligung oder mittelbare Beteiligung von größerer Bedeutung an diesen gegeben. Auch die Umwandlung der Rechtsform von Eigenbetrieben oder wirtschaftlichen Unternehmen, an denen die Gemeinde unmittelbar oder mittelbar mit größerer Bedeutung beteiligt ist, ist der Stadtverordnetenversammlung vorbehalten (§ 51 Ziffer 12 HGO).
BOARD:
Wie sieht der typische kommunale Aufsichtsrat in Deutschland aus?
Lars Scheider:
Aufgrund der sich aus der jeweiligen Gemeindeordnung ergebenden Pflicht zur Haftungsbegrenzung werden die kommunalen Beteiligungsunternehmen in der Regel in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) geführt. Das bedeutet, dass es sich bei den kommunalen Aufsichtsräten in der Regel um fakultative Aufsichtsräte handelt. Nur bei den großen kommunalen Beteiligungsunternehmen mit mehr als 500 bzw. 2.000 Mitarbeitern, ist aufgrund des Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG) bzw. dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) die Bildung eines Aufsichtsrats gesetzlich normiert.
Bei obligatorischen Aufsichtsräten nach dem MitbestG oder DrittelbG werden über Verweise im jeweiligen Gesetz (§§ 6 Abs. 2 und 25 Abs. 1 Ziffer 2 MitbestG bzw. § 1 Abs. 1 Ziffer 3 DrittelbG) bestimmte Regelungen des Aktiengesetzes für zwingend analog anzuwenden erklärt.
Bei einem fakultativen Aufsichtsrat sind über einen Verweis in § 52 Abs. 1 GmbHG ebenfalls viele Regelungen des Aktiengesetzes analog anzuwenden. Allerdings kann § 52 Abs. 1 GmbHG im Gesellschaftsvertrag abbedungen werden, sodass die Regelungen des Aktiengesetzes grundsätzlich nicht eingreifen. Darüber hinaus kann der Gesellschaftsvertrag eigenständige Regelungen vorsehen, die die aktienrechtlichen Normen ganz oder partiell verdrängen.
Bei städtischen Gesellschaften bzw. Gesellschaften mit städtischer Beteiligung nehmen Mitglieder des Magistrats / Verwaltungsvorstands und der Stadtverordnetenversammlung/Stadtrat Aufsichtsratsmandate wahr.
BOARD:
Was sind die besonderen Anforderungen an kommunale Aufsichtsratsmitglieder?
Lars Scheider:
Die (politischen) Vertreter der öffentlichen Hand werden in den Gremien der Beteiligungsgesellschaften Ihrer Gebietskörperschaft mit sehr unterschiedlichen, oftmals auch schwierigen rechtlichen Anforderungen konfrontiert. Dabei haben sich rechtlichen Anforderungen an die erfolgreiche Aufsichtsratsarbeit in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. Schließlich ist auch der Anspruch an die Steuerung und Transparenz der Unternehmensführung in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen; eine Entwicklung, die sich in jüngster Zeit noch verstärkt hat.
Dabei treten auch die Fragestellungen Gemeinwohlorientierung vs. Wirtschaftlichkeit, nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltslage der öffentlichen Hand, bei kommunalen Unternehmen in den Vordergrund. Aus praktischer Sicht kann die strategische Rolle des Aufsichtsrats durchaus von Vorteil sein, da die Beteiligungsunternehmen von Kenntnissen und Erfahrungen der Aufsichtsratsmitglieder profitierten, zumal häufig die Aufsichtsräte der kommunalen Unternehmen mit den wesentlichen kommunalpolitischen Akteuren besetzt sind.
Auch die Anforderung an das Management öffentlicher Unternehmen ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Entwicklung der Geschäftsführervergütung in öffentlichen Unternehmen zu betrachten. Denn sie ist eines der zentralen Steuerungsinstrumente und somit ein wichtiger Teil der „good governance“ der öffentlichen Hand. Aber auch wegen der erhöhten Sensibilität der Öffentlichkeit beim Thema „Managergehälter“ unterliegen auch die Geschäftsführerbezüge einer verstärkten Beobachtung.
BOARD:
Was sind die Instrumente einer erfolgreichen Aufsichtsratsarbeit?
Lars Scheider:
Für ihre Tätigkeit in einem öffentlichen Unternehmen benötigen Aufsichtsratsmitglieder neben branchenspezifischem Wissen verlässliche Kenntnisse über die rechtlichen Rahmenbedingungen im Spannungsfeld zwischen Gesellschaftsrecht und öffentlichem Auftrag, um Entscheidungen sicher treffen zu können. Die Arbeit in Aufsichtsratsgremien geht mit einer Reihe von Rechten und Pflichten für die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder und das Gremium insgesamt einher, die sich bei öffentlichen Unternehmen typischerweise aus verschiedenen regulativen Rahmenbedingungen (z.B. Gemeindeordnung, Public Corporate Governance Kodex, GmbH-Gesetz, Aktiengesetz) ableiten.
Angesichts des spezifischen Charakters öffentlicher Unternehmen sind die institutionellen und regulativen Rahmenbedingungen dieser Unternehmen an der Schnittstelle zwischen der privatrechtlichen und der öffentlich-rechtlichen Regelungssphäre im Großen und Ganzen besonders heterogen bzw. komplex. Dieser Kontext führt zu verschiedenen Herausforderungen für die Gremien und ihre Mitglieder: Unter anderem müssen sich die einzelnen Aufsichtsräte der jeweiligen spezifischen Anforderungen an sie bewusst sein und ihr Verhalten muss sich danach ausrichten. Abläufe und Strukturen müssen entsprechend der regulativen Anforderungen aufgestellt sein und schließlich müssen sich Veränderungen bei den rechtlichen Rahmenbedingungen ebenfalls in einer angepassten Gremienarbeit widerspiegeln.
BOARD:
Das sind durchaus anspruchsvolle Anforderungen an die kommunalen Mandatsträger. Was ist Ihr Tipp aus der langjährigen Gremienpraxis für die Mandatsträger?
Lars Scheider:
Die rechtssichere Erfüllung dieser verschiedenen Anforderungen an kommunale Aufsichtsräte kann durch eine zielgerichtete, angemessene und wirtschaftliche Selbstevaluierung der Gremienarbeit spürbar unterstützt werden. Eine (webbasierte) Effizienzprüfung von Aufsichtsratsgremien verspricht gerade bei öffentlichen Unternehmen mit Blick auf die typische Zusammensetzung von Aufsichtsgremien mit demokratisch legitimierten Mandatsträgern, ein besonders chancenreicher Ansatz zu sein, der mit einem sinnvollen Aufwand-Nutzen-Verhältnis konkrete Entwicklungsbeiträge für die Gremienarbeit vor Ort liefern kann.
BOARD:
Welche Rolle spielt das Beteiligungsmanagement bei der Gremienarbeit?
Lars Scheider:
Vor dem Hintergrund der weiterhin stetig wachsenden Bedeutung von kommunalen Beteiligungsunternehmen in finanzieller Hinsicht und der stetig steigenden fachlichen Anforderungen im Bereich ihrer wirtschaftlichen Betätigung, sind angemessene Rahmenbedingungen eines wirkungsvollen Beteiligungsmanagements für die Steuerung des Konzernverbundes Stadt Frankfurt a.M. von entscheidender Bedeutung.
Der PCGK Frankfurt a.B. stellt insbesondere die regelmäßige, zeitnahe und umfassende Information des Aufsichtsrates sicher (A 3.3.2). Der hohe Konkretisierungsgrad wird deutlich durch die Berichterstattungspflichten der Geschäftsführung gegenüber dem Aufsichtsrat, u.a. durch Quartalsberichte (A 3.3.2), explizite Empfehlung zur Orientierung an § 90 Akt. bzgl. Inhalt und Turnus der Berichtspflichten (A 2.3.2), einen Bericht über die Wirksamkeit des Risikomanagementsystems (A 3.3.2) sowie eine Nachhaltigkeitsberichterstattung (A 3.3.2), welche einzigartig in der deutschen PCGK Landschaft ist. Die umfangreiche Informiertheit des Aufsichtsrates ist die Grundlage für eine effektive Ausübung der Kontrollfunktion des Aufsichtsrates. Die Regelung über die Arbeit des Aufsichtsrates, wie u.a. durch die Verpflichtung über die Kenntnis bzw. den Erwerb erforderlicher Fachkenntnisse und die Organisation regelmäßiger Fort- und Weiterbildungsangebote (A 3.2.6) sowie die effiziente Ausgestaltung der Sitzungen durch den zeitgerechten Unterlagenversand (A 3.2.4) oder die Protokollierung des wesentlichen Sitzungsverlaufes (A 3.2.4) trägt zur Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit bei.
Das Beteiligungsmanagement unterstützt die kommunalen Mandatsträger mit dem sog. Starter Paket bei Beginn der Mandatszeit, sowie gezielten Aufsichtsratsschulungen zum Thema Recht und Pflicht des Aufsichtsrates. Darüber hinaus wird für jede Gremiensitzung eine schriftliche Stellungnahme des Beteiligungsmanagements zur den Vorberichten der Geschäftsführung erstellt. Die Mitarbeiter des Beteiligungsmanagements nehmen als Gäste an den Gremiensitzungen teil. Im Nachgang werden die Protokolle der Gremiensitzungen kontrolliert. D.h. kein städtischer Mandatsträger geht ohne schriftliche Vorbereitung des Beteiligungsmanagements und ohne Begleitung und ohne Nachbereitung (Protokolle) in irgendeine Gremiensitzung. Dies umfangreiche Gremienbetreuung durch das Beteiligungsmanagement dürfte in Deutschland beispielhaft sein.
BOARD:
Vielen Dank für das Gespräch!