Der Elan, mit dem die führenden Börsenunternehmen in Deutschland zuletzt den Frauenanteil in den Aufsichtsräten und Vorständen gesteigert haben, hat zum Ende des Jahres 2023 spürbar nachgelassen. Der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der derzeit 179 im DAX, MDAX und SDAX sowie der im Regulierten Markt notierten, paritätisch mitbestimmten Unternehmen ist leicht auf 36,5 % gestiegen (Mai 2023: 35,3 %), in den Vorständen werden 19,3 % erreicht (Mai 2023: 18,3 %). 65 Unternehmen haben weiter keine Frau im Vorstand (36,3 %), acht Aufsichtsräte sind weiterhin frauenfrei. Die Fortschritte gehen insbesondere auf das seit August 2022 geltende Mindestbeteiligungsgebot zurück. Aber auch bei der Regelung lässt sich feststellen: Ist die Vorgabe von einer Frau im Vorstand erreicht, sinkt das Engagement, den Frauenanteil weiter zu steigern. Nur 27 der 179 Unternehmen (15,1 %) haben mehr als eine Frau im Vorstand.
Inhalt
I. Einleitung
II. Mindestbeteiligungsgebot im Vorstand wirkt
III. Pflichterfüllung ist zu wenig
IV. Fazit: Mehr Druck = mehr Erfolg
I. Einleitung
Das mit dem zweiten Führungspositionengesetz eingeführte Mindestbeteiligungsgebot fordert von paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern, mindestens eine Frau in die Chefetage zu berufen. Schon im Mai 2023 hatten fast alle unter die Vorgabe fallenden Unternehmen reagiert – der Anteil der frauenfreien Vorstände ging deutlich zurück. Da aber aktuell nur 61 Unternehmen von der Regelung betroffen sind, muss die Frage gestellt werden: Warum wird der gesetzliche Druck nicht auf mehr Unternehmen ausgeweitet? Und gleichzeitig muss gefragt werden, warum kaum Unternehmen über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen und nur ihre Pflicht erfüllen?
Die Bilanz des WoB-Index zeigt, dass die 2015 mit dem Führungspositionengesetz eingeführte Geschlechterquote von 30 Prozent für die Besetzung der Aufsichtsräte börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen wirkt. Bei den aktuell 101 der Geschlechterquote im Aufsichtsrat unterliegenden Unternehmen ist der Frauenanteil weiterhin sowohl in den Aufsichtsräten (38,1 % / Januar 2023: 36,7 %) als auch in den Vorständen (21,1 % / Januar 2023: 17,4 %) deutlich höher als bei den 78 Unternehmen, die nicht unter die Quotenregelung fallen – hier liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten (31,5 % / Januar 2023: 29,3 %) und in den Vorständen (16,3 % / Januar 2023: 12,4 %) erheblich niedriger.
Diese Entwicklung zeigt, dass Vorgaben, die auf freiwilligen Selbstverpflichtungen aufbauen, in Deutschland nur unzureichend genutzt werden. Greifen starre, gesetzliche Regelungen, wird die gleichberechtigte Teilhabe dagegen gestärkt. Und das gilt sowohl für die hier betroffenen Aufsichtsräte und Vorstände als auch für die am häufigsten gebildeten Ausschüsse der Aufsichtsgremien, wo die Frauenanteile in den unter die Aufsichtsratsquote fallenden Unternehmen wesentlich höher liegen.
II. Mindestbeteiligungsgebot im Vorstand wirkt
Auch das mit dem zweiten Führungspositionengesetz (FüPoG II) eingeführte Mindestbeteiligungsgebot von Frauen in Vorständen hat dazu geführt, dass der Frauenanteil stärker wächst. Betroffen sind jene Unternehmen, die börsennotiert und voll mitbestimmt sind sowie mehr als drei Mitglieder im Vorstand haben – aktuell 61 Unternehmen, von denen mittlerweile 59 das Gebot erfüllen. Zwei der vier Unternehmen, die im Mai 2023 noch eine frauenfreie Führungsetage hatten, haben nun eine Frau in den Vorstand berufen: Indus Holding berief zum 1. Oktober 2023 Gudrun Degenhart für das Segment Materials in den Vorstand, Vitesco hat zum 1. November 2023 Sabine Nitzsche zur Finanzvorständin bestellt. Der Sportartikelkonzern adidas hatte zwar seit Juli 2023 mit dem Ausscheiden von Personalvorständin Amanda Rajkumar keine Frau mehr im Vorstand – hat die Lücke mit Wirkung zum 1. Januar 2024 aber geschlossen und Michelle Robertson als Vorständin für den Bereich Global Human Resources, People and Culture berufen. Nur bei Koenig & Bauer und Wüstenrot & Württembergische besteht weiterhin Handlungsbedarf – bei der nächsten Vorstandsberufung muss mindestens eine Frau berufen werden.
Insgesamt liegen die 61 unter das Gesetz fallenden Unternehmen mit dem Frauenanteil sowohl beim Aufsichtsrat (37,5 %) als auch beim Vorstand (22,2 %) klar über den Durchschnittswerten der untersuchten 179 Unternehmen.
Zum Jahresanfang 2024 gibt es weitere Ernennungen von Frauen in Vorständen: Mit Bechtle und Salzgitter haben gleich zwei Konzerne erstmals eine Frau in den bislang rein männlich besetzten Vorstand berufen. Beim IT-Unternehmen Bechtle hat Antje Leminsky zum 1. Februar 2024 die Ressorts Logistik, Beschaffung und Partnermanagement sowie Financial Services und Nachhaltigkeitsmanagement übernommen. Bei Salzgitter hat Birgit Potrafki ebenfalls zum 1. Februar 2024 die Rolle der CFO angetreten. Zudem wurden zum 1. Februar 2024 Gina Vargiu-Breuer als Chief People Officer und Arbeitsdirektorin in den SAP-Vorstand und Dr. Katja Scharpwinkel als Arbeitsdirektorin in den Vorstand von BASF berufen.
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Ranking der Unternehmen in Bezug auf das Mindestbeteiligungsgebot im Vorstand. Börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern (aktualisiert zum 1.2.2024)
III. Pflichterfüllung ist zu wenig
Dass sich die Zuwächse aktuell verlangsamen, hat mit einem Phänomen zu tun, das schon nach der Einführung der Geschlechterquote für Aufsichtsräte zu beobachten war. Mit Erreichen der gesetzlich festgelegten 30-Prozent-Marke ging das Engagement für eine weitere Entwicklung zurück. Gleiches gilt für die Vorstände: Ist das Mindestbeteiligungsgebot erfüllt, sehen viele Unternehmen scheinbar keinen Grund, den Frauenanteil noch weiter auszubauen und mehr als eine Frau in die Führungsetage zu berufen. Von den 179 untersuchten Unternehmen haben nur 27 (15,1 %) mehr als eine Frau im Vorstand. Mit 87 hat knapp die Hälfte der Unternehmen (48,6 %) bislang nur eine Frau im Vorstand. Die Unternehmen erfüllen also ihre Pflicht, zeigen aber wenige Ambitionen, auf eine paritätische Besetzung der Kontrollgremien und Chefetagen hinzuwirken.
Dieses Verhalten ist auch mit Blick auf regulatorische Rahmenbedingungen bemerkenswert, wie z.B. die Empfehlung der Deutschen Corporate Governance Kodex Kommission, die nicht nur fordert, die Vielfalt im Aufsichtsgremium sicherzustellen, sondern sie auch in Form einer Kompetenzmatrix öffentlich sichtbar zu machen. Und mit Blick auf die Anwendung der europäischen Corporate Social Responsibility Directive (CSRD) in Deutschland werden Unternehmen künftig ausführlich Bericht erstatten müssen, was sie tun in Bezug auf ökologische, soziale und Governance-orientierte Aspekte und somit auch in Bezug auf gleichberechtigte Teilhabe in Führungspositionen.
Zudem gibt es eindeutige verfassungsrechtliche ebenso wie politische Leitplanken. So steht es im Grundgesetz Art 3 Abs. 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Verbunden mit der Aufgabe an die Politik: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Konsequent hat die Ampel-Regierung das Ziel der Parität unmissverständlich im Koalitionsvertrag verankert: „Die Gleichstellung von Frauen und Männern muss in diesem Jahrzehnt erreicht werden.“ Doch welche Ansätze gibt es dafür, die gesetzlichen Regelungen auf mehr Unternehmen auszuweiten? Hinweise gibt die zum Jahreswechsel 2022/2023 in Kraft getretene EU-Führungspositionen-Richtlinie. Nach der Regelung, die Deutschland wegen der bestehenden Führungspositionengesetze nicht zwingend anwenden muss, sollen in Aufsichtsgremien großer Börsenunternehmen in der EU mindestens 40 % Frauen bzw. 40 % Männer vertreten sein. Alternativ gilt für Aufsichtsrat und Vorstand gemeinsam eine Geschlechterquote von 33 %. Die EU-Regelung gilt für alle börsennotierten Unternehmen ab 250 Beschäftigten – die aktuell geltenden Gesetze in Deutschland haben einen deutlich geringeren Wirkungskreis. Denn sie beziehen sich auf börsennotierte und voll mitbestimmte Unternehmen, d.h. mit mehr als 2.000 Beschäftigten. Somit gilt die Geschlechterquote im Aufsichtsrat in Deutschland aktuell für nur 101 Unternehmen, das Mindestbeteiligungsgebot sogar lediglich für 61 dieser Unternehmen.
Konsequent wäre es in Anbetracht der Nichtanwendung der EU-Führungspositionenrichtlinie, die Aufsichtsratsquote auf alle börsennotierten oder mitbestimmten Unternehmen auszuweiten. So würde sich eine stärkere Breitenwirkung ergeben, mit der die gleichberechtigte Teilhabe in Führungspositionen in viel mehr Unternehmen als bisher Normalität werden dürfte und somit auch gesamtgesellschaftlich Wirkung entfalten könnte. Neben den an der Börse gelisteten Unternehmen würden dann auch große – nicht an der Börse gelistete – Aktiengesellschaften wie die Deutsche Bahn AG direkt unter die Regelung fallen. Insgesamt würden damit weitaus mehr Unternehmen erfasst, als die bisher 101 aktuell betroffenen Gesellschaften. Auch die Zahl der vom Mindestbeteiligungsgebot für Vorstände betroffenen Unternehmen würde dann entsprechend steigen.
Außerdem kann gemäß der EU-Vorgabe eine Erhöhung der Geschlechterquote in den Aufsichtsgremien auf 40 % zu einer konsequenten Fortsetzung der bisherigen Erfolge führen. Als Vorbild könnte hier Frankreich dienen: Hier sah das Gesetz von 2010 eine automatische Erhöhung der Vorgabe von zunächst 20 % Frauenanteil innerhalb von drei Jahren auf 40 % nach sechs Jahren vor.
IV. Fazit: Mehr Druck = mehr Erfolg
Mit Blick auf das Ziel der paritätischen Besetzung von Führungsgremien der Wirtschaft hinkt Deutschland bei der gleichberechtigten Teilhabe weiter hinterher. Zwar gibt es genügend qualifizierte Frauen für Spitzenfunktionen, viele Unternehmen lassen aber das notwendige Engagement vermissen. Solange die Geschlechterquote für Aufsichtsräte und das Mindestbeteiligungsgebot für Vorstände nur für sehr wenige Unternehmen gelten, wird sich bei den Unternehmen, die nicht den gesetzlichen Vorgaben unterliegen, nur wenig ändern. Daher wird sich FidAR für die Ausweitung und die Erhöhung der Geschlechterquoten einsetzen – mit dem Ziel der Parität.