Der Frankfurter Aufsichtsratstag 2022 stand ganz im Zeichen des Ukraine Kriegs, der wenige Monate zuvor ausgebrochen war. Geologische Risiken und Lieferketten waren ganz oben auf der Agenda. In diesem Jahr traf man sich wieder im Frankfurter Hof zum 12. Frankfurter Aufsichtsratstag. Knapp 200 Aufsichtsräte und Corporate Governance Experten kamen für anderthalb Tage zusammen, um über die aktuellen Aufsichtsratsthemen zu diskutieren. Geopolitik ist weiterhin eines der Top Topics deutscher Aufsichtsräte. Ganz oben auf der Agenda steht aber 2023 laut der jüngsten Aufsichtsratsstudie das Thema ESG und damit auch Diversität. So lautete das Motto der diesjährigen Tagung auch: „Investorenmacht und -verantwortung – Diversität als Gamechanger“.
Inhalt
I. „Der Aufsichtsrat muss entscheiden, was wirklich wichtig ist“
II. ESG Regulierung: „Die privaten Akteure sollen etwas tun, was die öffentliche Hand nicht tut“
III. „Investoren übernehmen Verantwortung“
IV. „Zu homogen zusammengesetzte Entscheidungsgremien führen oft zu Gruppendenken“
V. „Zu einer guten Corporate Governance gehört eine nachhaltige Unternehmensstrategie“
VI. „Man kann nur gute Fragen stellen, wenn man auch gut vorbereitet ist“
I. „Der Aufsichtsrat muss entscheiden, was wirklich wichtig ist“
Prof. Dr. Werner Gleissner, CEO der Future Value Group, hatte gleich zu Beginn eine gute Nachricht. Seiner Meinung nach – so seine Einschätzung vor dem Terrorangriff auf Israel - markiert das Jahr 2022 den Höhepunkt der Krisenzeit, in der wir uns schon seit Jahren befinden. Ungeachtet dessen seien die Rahmenbedingungen für Unternehmen, so der Experte für Bewertungs- und Entscheidungsverfahren bei Unsicherheit und unvollkommenen Kapitalmärkten auf dem traditionellen Begrüßungsdinner im Frankfurter Hof, schwieriger geworden. „Mehr denn je müssen sich Aufsichtsräte mit strategischen Dingen anstatt mit Bürokratie auseinandersetzen.“ Dem stimmte Marc Tüngler, Vorstand AdAR und Hauptgeschäftsführer der DSW bei, wenn er festhält, dass die Aufsichtsräte die Pflicht haben, sich die Zeit für strategische Diskussionen zu nehmen. Ist das deutsche Two-Tier System in Krisenzeiten im Nachteil gegenüber dem One-Tier System, in dem Executive und non-Executive-Vertreter in einem Organ zusammenarbeiten? Nein, so Gleissner. Es gibt kein strukturelles Problem. Das Problem läge vielmehr darin, die Prioritäten adäquat zu setzen. „Der Aufsichtsrat muss entscheiden, was wirklich wichtig ist.“ Hierzu sollten der Aufsichtsrat und der Vorstand sich intensiv austauschen und die Erfolgsfaktoren gemeinsam definieren. Dabei sei wichtig, dass der Aufsichtsrat immer hinterfragt. „Die Ideen vom Vorstand werden oft zu kritiklos vom Aufsichtsrat aufgenommen.“ Ein Grund für Fehler sei eine zu hohe Selbstsicherheit. Dies führt zu einer falschen Einschätzung der Risiken. Die Aufgabe des Aufsichtsrats ist, hier als Korrektiv zu agieren. „Er muss aufpassen“. Hierbei kann der Wirtschaftsprüfer helfen. „Wir freuen uns, wenn uns der Aufsichtsrat fragt“, so Dr. Claus Buhleier, Partner von Deloitte und Vorstandsmitglied des AdAR. „Nur im Dialog kommt man zu einer besseren Arbeit.“ Der Wirtschaftsprüfer kann so zu einem wichtigen Sparringspartner des Aufsichtsrats werden. Buhleier, der mit Deloitte das Eröffnungsdinner gesponsert hat, erweiterte den Leitspruch für die Arbeit eines Aufsichtsratsvorsitzenden „Führen durch Fragen“ mit dem Zusatz „oder prüfen lassen durch den Wirtschaftsprüfer“. Auch das kann ein erfolgreiches Arbeitsinstrument des Aufsichtsrats für ein gutes Risikomanagement sein. Dabei muss nicht jedes Jahr alles geprüft werden. Es kommt darauf an, immer die richtigen wechselnden Schwerpunkte zu setzen.
II. ESG Regulierung: „Die privaten Akteure sollen etwas tun, was die öffentliche Hand nicht tut“
Der erste Schwerpunkt am Morgen des Konferenztages war ESG. Alles neu, alles besser? Alles anders jedenfalls, war der Eindruck, wenn man dem AdAR-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Dr. h.c. Barbara Dauner-Lieb bei ihrem Eröffnungsstatement zuhörte. Wie bei der Geldwäsche werden auch beim Thema ESG Unternehmen zur Organhilfe herangezogen, um politische Inhalte zu erreichen. „Die privaten Akteure sollen etwas tun, was die öffentliche Hand nicht tut“, so Dauner-Lieb. Die Politik will mithilfe der Unternehmer die Welt vor dem Klimakollaps retten. Aber nicht nur das sei das Ziel. Letztlich ginge es um eine gerechtere Welt mit angemessenem Zugang zu Ressourcen für alle. Eine Welt, in der die einen mit dem SUV fahren und die anderen nur den Esel haben, entspricht diesem Anspruch nicht. Entsprechend verfolgen die Regulierer ein Modell, dass Unternehmen etwas anderes tun, als nur
im eigenen Interesse zu handeln. Es reicht nicht mehr aus, sich an Gesetze zu halten und in diesem Rahmen nur das zu tun, was gut für das eigene
Unternehmen ist. Man muss mehr machen, als für das eigene Unternehmen gut ist. Das sei die Erwartung. Entsprechend setzt die EU nicht mehr
allein auf den Markt, sondern auch auf NGOs, die zu echten Stakeholdern geworden sind. Ist das nun gut oder schlecht? Auf alle Fälle wird es
komplexer. Mehr Recht, so Dauner-Lieb, bedeute auch eine stärkere Verrechtlichung der Compliance, mehr Bürokratie. In allen Ländern würden
neue Behörden entstehen, welche die neue Politik auch durchsetzen sollen.
Zwei Gewinner stehen schon fest: die Wirtschaftsprüfer und die Juristen. Aber auch die Wissenschaft kann als Gutachter von der Entwicklung profitieren. Manche Unternehmen und Geschäftsmodelle werden in der neuen Welt verlieren. Für alle gelte: Es muss stimmen, was man sagt. Vor
dem Hintergrund des Verdachts des Greenwashings kann vor pauschalen Angaben nur gewarnt werden. „Reputation wird die neue Währung für
Unternehmen sein.“ Mit Blick auf die Priorisierung stimmte Dauner-Lieb zu, das es viele dringende Fragen abseits von ESG gibt. „Aber ESG sei viel wichtiger."
III. „Investoren übernehmen Verantwortung“
Ingo Speich, Deka Investments, unterstreicht die These mit der Aussage in der anschließenden Paneldiskussion zum Thema „Macht und Verantwor-
tung der Investoren“, dass es auf den Hauptversammlungen heute mehr Aktivisten bei Nachhaltigkeitsthemen gibt. Im Fokus sei international vermehrt der Board. Ein Trend, der nach Ansicht von Speich in Deutschland noch nicht angekommen ist. Katryna Krueger von ISS sieht bei ihren Kunden vor allem ein Interesse bei dem „G“. „Kunden sind nicht passiv. Sie interessieren sich sehr für Corporate Governance.“ Thomas von Oehsen von S&P rät, dass Unternehmen mit den wichtigen Investoren sprechen sollen, wenngleich Proxy Advisor auch wichtig seien. Seine Erfahrung ist, dass die kleineren der
Big Ten Investoren kritischer sind als die ganz großen. Marc Tüngler sieht das zunehmende Engagement institutioneller Investoren positiv. „Wir haben heute einen Zustand, den wir alle wollten. Investoren übernehmen Verantwortung.“ Mit Blick auf schwache Wahlergebnisse bei AR-Wahlen war sich die Runde einig, dass dies nicht zuletzt auf fehlende Kommunikation zurückzuführen sei. Laut Anke Sänger-Zschorn, IVOX Glass Lewis, lägen auch heute noch teilweise keine Lebensläufe der Kandidaten vor. Und wenn man schon vor der Hauptversammlung nicht über einzelne Kandidaten sprechen kann, so sollte der Aufsichtsrat nach Ansicht von Ingo Speich zuvor doch mit Investoren über die Profile reden.
IV. „Zu homogen zusammengesetzte Entscheidungsgremien führen oft zu Gruppendenken“
Bessere Entscheidungen werden bekanntlich getroffen, wenn man ein Thema von vielen Seiten betrachtet. Ist Diversität mit Blick auf nachhaltige Unternehmensführung daher der Gamechanger? Für Dr. Wiebke Ankersen von der Albright Stiftung ist das keine Frage. „Zu homogen zusammengesetzte Entscheidungsgremien führen oft zu Gruppendenken, bei dem unterschiedliche Risiken und Chancen nicht ausreichend erfasst
und abgewogen werden“, heißt es in der Trendanalyse „Der Einfluss von Investoren auf die Diversität in deutschen Aufsichtsräten und Vorständen“ der Albright Stiftung. Wie divers sind deutsche Vorstände und Aufsichtsräte? Die Zahlen zeigen, dass sich die Gesellschaft noch lange nicht in den Gremien deutscher Unternehmen spiegelt. In den 160 untersuchten börsennotierten deutschen Unternehmen waren gerade einmal 17 % der Vorstandspositionen mit Frauen besetzt. 81 der 160 Unternehmen haben keine einzige Frau im Vorstand. Bei den Familienunternehmen sieht es gar noch schlechter aus. Hier beträgt der Frauenanteil in den Vorständen nur 8 %. Liegt Deutschland damit im internationalen Vergleich am unteren Ende? Gegenüber den USA ja. Dort sind in den 40 größten börsennotierten Unternehmen 31 % der Vorstandssitze mit Frauen besetzt. In UK sind es immerhin knapp 28 %. In Deutschland lediglich etwas mehr als 20 %. „Wir sehen, was im Ausland möglich ist“, so Dr. Ankersen auf dem Aufsichtsratstag. „Wenn wir Talente nicht fördern, lassen wir uns Vieles entgehen.“ Dabei sieht sie nicht die viel beschworenen schlechten Rahmenbedingungen in Deutschland als Grund für das schlechtes Abscheiden im internationalen Vergleich. „Die Rahmenbedingungen für Frauen in den USA sind viel schlechter als in
Deutschland.“ Da gäbe es kein Kindergeld und keine Elternzeit. „Die Einstellung der Unternehmen ist entscheidend – unabhängig von der Branche.“ Ein Problem für den Aufstieg sei, dass Frauen in Deutschland besonders wenig Wochenstunden arbeiten. Das habe sich in den letzten 50 Jahren kaum geändert. Aus Sicht von Ankersen solle die Politik daher in Deutschland das Ehegattensplitting abschaffen. „Das Ehegattensplitting gibt den Frauen Anreize in Teilzeit zu gehen oder daheim zu bleiben.“ In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Anja Seng, Präsidentin des FidAR e.V., Dr. Thomas Sattelberger, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der FDP und Manager, Anna Riecken, BMFSJ, und Marc Tüngler wurde die Notwendigkeit divers besetzter Gremien unterstrichen. „Diverse Boards arbeiten besser. Dies zeigen viele Studien“, so Anna Riecken. Thomas Sattelberger regte an, dass es auch Studien geben sollte, die den Zusammenhang zwischen diversen Teams und Innovationskraft aufzeigen. „So etwas gibt es für Deutsch-
land nicht.“
V. „Zu einer guten Corporate Governance gehört eine nachhaltige Unternehmensstrategie“
Steht ESG in Europa für die Ambition, die Welt besser zu machen, so scheinen die drei Buchstaben in den USA eine ganz andere Wirkung zu haben.
ESG ist aus Sicht von Prof. Dr. Stefan Simon, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, zu einer Art Unwort in den USA geworden. Zurückzuführen sei dies vor allem auf die politische Entwicklung in den USA mit republikanischen Mehrheiten unter anderem in Florida oder Texas. Auch die Unternehmen würden sich bei dem Thema immer mehr zurücknehmen. „Vor drei Jahren war Larry Fink von BlackRock noch der Wortführer.“ Die Entwicklung wird in den USA noch weiter zunehmen. Die Unternehmen haben gelernt, dass man sich bei dem Thema die Finger verbrennen und wenig gewinnen kann. Auch die Investoren seien weniger laut. Simon sieht auch bei der Regulatorik eine unterschiedliche Entwicklung zwischen den USA und Europa. Die
FED hat nur die Sicherheit des Finanzsystems im Fokus. Aber können Unternehmen daher das Thema ESG vernachlässigen? „Nein“, so Simon. „Allein schon aus dem wohlverstandenen Unternehmensinteresse nicht.“ Zu einer guten Corporate Governance gehört eine nachhaltige Unternehmensstrategie. Unternehmen müssen sich mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen auf das eigene Unternehmen auseinandersetzen, wie das Beispiel UPS zeigte. Die Meldung, wonach man in die eigenen Autos nunmehr Klimaanlagen einbauen wird, hat aufgrund der Mehrkosten
zu einen Gewinnwarnung geführt. Aufgabe des Aufsichtsrats, so der Deutsche Bank Vorstand, ist auch bei ESG die richtigen Fragen zu stellen.
Hat man die nötigen Erfahrungen im Unternehmen, um mit der Zukunft umgehen zu können. Sind die richtigen Kompetenzen im Vorstand? Wenn nein, wie kann man diese aufbauen. „Rausschmiss ist nicht immer die richtige Antwort.“
VI. „Man kann nur gute Fragen stellen, wenn man auch gut vorbereitet ist“
Der Leitspruch „Führen durch Fragen“ zog sich wie ein roter Faden durch die Diskussion des Panels „Wege zu einem effizienteren Aufsichtsrat“ unter
der Leitung von AdAR-Vorstand Dr. Peter Henning, Deutsche Bank. Aufsichtsrätin Prof. Dr. Kerstin Lopatta, Uni Hamburg, wies aber darauf hin, dass man nur gute Fragen stellen könnte, wenn man auch gut vorbereitet ist und das Thema versteht. Prof. Dr. Franca Ruhwedel wies mit Blick auf die gute Vorbereitung darauf hin, dass sie schon Vorbereitungsunterlagen bekommen hätte, die 1.462 Seiten beinhalteten. Kann man das alles verarbeiten? Aus dem Publikum kam postwendend die Anmerkung, dass von einem Aufsichtsrat nicht erwaret werden kann, das alles vor einer Sitzung zu lesen. Frau Ruhwedel tat es, um gut vorbereitet zu sein. Unterlagen sollten zwei Wochen vor Termin an alle Mitglieder des AR gehen, damit genügend Zeit zur Vorbereitung bleibt. Best Practice sei auch, dass alle Fragen und Antworten an alle Aufsichtsräte gehen, damit alle auf dem gleichen Stand sind. Im Übrigen, so Dr. Peter Hennke, Fresenius Medical Care, müsse „viele Fragen zu stellen nicht heißen, dass ein Aufsichtsrat nicht effizient arbeitet, wenn es die richtigen Fragen sind“.