News

„Alles, was der Verrechtlichung der Corporate Governance entgegenwirkt, ist zu begrüßen“

Klaus-Peter Müller war 18 Jahre Mitglied des Vorstands der Commerzbank, davon sieben Jahre dessen Sprecher. Weitere zehn Jahre leitete er den Aufsichtsrat der Bank, dessen Ehrenvorsitzender er heute ist. Daneben war er Mitglied von Aufsichtsräten einer Reihe von deutschen und internationalen Unternehmen. Und schließlich leitete er neben vielen anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten von 2008 bis 2013 die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Am 16. September 2024 feierte Klaus-Peter Müller seinen 80. Geburtstag. Grund genug, um bei einem Mann, der gute Corporate Governance über Jahrzehnte hinweg gestaltet und gelebt hat, nachzufragen. Ein Plädoyer für Dialog, Entrechtlichung und Einmischen. Das Interview hat Peter Dietlmaier, Partner CCounselors, geführt, der viele Jahre die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex beriet.

BOARD:

Herr Müller, war früher alles besser?

Klaus-Peter Müller:

Nein, aber anders. Die Arbeit von Vorständen und Aufsichtsräten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm geändert. Beide sind heute viel näher am Geschäft. Digitalisierung, Globalisierung, die Deregulierung in den 1990er Jahren und die Regulierung nach den Krisen in den 2000er Jahren – um nur einige Beispiele zu nennen – haben die Art und Weise, wie wir alle arbeiten, komplett geändert. Wir können heute zu jeder Zeit von jedem Ort abrufen, was in einem Unternehmen passiert. Und es wird erwartet, dass auch ein Vorstand diese Informationsmöglichkeiten nutzt. Aufsichtsräte sind heute Sparringspartner des Vorstands. Sie können dieser Aufgabe nur gerecht werden, wenn Sie wissen, wie das Unternehmen und die Märkte funktionieren. Die Zeiten, in denen man sich vier Mal im Jahr zum Mittagessen traf, sich vom Vorstand informieren liess, den Abschlüssen zustimmte und danach heimfuhr, sind längst vorbei. Gleichzeitig hat sich auch die Wahrnehmung von Vorständen und Aufsichtsräten geändert. Beide stehen heute viel stärker im Fokus der Öffentlichkeit. Die Transparenz ist größer.

BOARD:

Aber ist es wirklich ein Fortschritt, wenn heute mehr oder weniger live aus Aufsichtsratssitzungen berichtet wird, wie dies zuletzt bei Thyssenkrupp der Fall war?

Klaus-Peter Müller:

Die Vertraulichkeit ist ein hohes Gut. Es ist wichtig, dass es geschützte Räume gibt, in denen man offen miteinander reden, Dinge ausdiskutieren kann. Die Gefahr ist zu groß, dass man ansonsten nur für die Bühne spielt. Daher ist es auch richtig, dass der Gesetzgeber im Aktiengesetz geregelt hat, dass beispielsweise die Sitzungen des Aufsichtsrats vertraulich sind. Eigentlich sollten die Spielregeln damit klar sein. Aber wie in vielen anderen Bereichen des Lebens, ist es letztlich eine Frage der Kultur in einem Gremium, ob man dies auch lebt oder nicht. Und die Kultur hängt wiederum stark von den Menschen ab, die in das Gremium gewählt wurden. Bei der Auswahl der richtigen Menschen fängt es in der Regel immer an. Aber sein wir auch ehrlich: Dass Informationen aus Sitzungen durchgestochen werden, ist keine Erfindung der jüngeren Vergangenheit. Nur gab es vor der Erfindung des Smartphones noch keine SMS oder WhatsApp mittels der man aus den Sitzungen heraus kommunizieren konnte.

BOARD:

Haben Sie immer die richtigen Menschen ins Team geholt?

Klaus-Peter Müller:

Wenn man in seinem Berufsleben viele Personalentscheidungen treffen muss, kommt es auch zu Fehleinschätzungen. Situationen ändern sich, so dass man immer wieder auch neue Profile benötigt.

BOARD:

Auf was sollte man Ihrer Meinung nach bei der Zusammensetzung des richtigen Teams achten?

Klaus-Peter Müller:

Es ist wie beim Fußball. Es kommt nicht nur darauf an, dass eine Spielerin oder ein Spieler die Technik beherrscht, die jeweilige Position spielen kann und fit ist. Wichtig ist vor allem auch der Charakter. Auf ein Unternehmen bezogen heißt das, dass nicht nur der CV, sondern auch der Mensch stimmen muss. Sie müssen ins Team passen.

BOARD:

Aber ist es nicht gerade ein Manko, wenn Teams aus ein und denselben Typen bestehen? Es ist ja gerade ein Vorwurf, dass deutsche Vorstände und Aufsichtsräte allzu gern sich selber einstellen.

Klaus-Peter Müller:

Diversität des Wissens, der persönlichen Erfahrungen und Lebenshintergründen, der Herkunft, der Geschlechter und des Alters sind wichtig für ein erfolgreiches Team. Aber genauso wichtig ist ein gemeinsames Wertesystem. Unternehmen sind Willensgemeinschaften, die letztlich von einem gemeinsamen Kulturverständnis, von einem gemeinsamen Verständnis über das Was und Wie, zusammengehalten werden.

BOARD:

Sind Vorstände und Aufsichtsräte heute genug divers?

Klaus-Peter Müller:

Uns allen sind die Statistiken bekannt. Demnach sollten die Gremien noch internationaler und weiblicher werden. Aber auch hier sollten wir aufpassen. Es kommt letztlich immer auf den Einzelfall an. Bei einem Unternehmen, das Asien zu seinen Hauptmärkten zählt, wäre es sicherlich sinnvoll, wenn es eine entsprechende Kompetenz im Vorstand und im Aufsichtsrat gäbe. Bei einem Unternehmen, dass nur in Deutschland Geschäft betreibt, mag das anders sein.

BOARD:

Aber bei der Geschlechterdiversität, und hier sind vor allem bei den Vorständen die Quoten noch ausbaufähig, sollte das Argument nicht gelten.

Klaus-Peter Müller:

Richtig. Wenn die Ressourcen nicht bestmöglich genutzt werden, ist es nicht im Interesse der Unternehmen. Und dies steht bekanntlich sowohl für den Aufsichtsrat wie auch für den Vorstand immer an oberster Stelle. Fakt ist, rund 50 Prozent der Menschen weltweit sind Frauen. Frauen schneiden in der Schule und an den Universitäten besser ab. Wenn wir das Wissen für unsere Unternehmen auf allen Stufen nicht angemessen nutzen, dann machen wir einen Fehler. Das war auch der Grund, warum ich mich als Vorsitzender der Regierungskommission damals für die entsprechenden Kodexempfehlungen und Anregungen eingesetzt hatte.

BOARD:

Für die Sie und die Kommission seinerzeit auch heftig kritisiert wurden. Gesellschaftspolitik habe nicht im Corporate Governance Kodex zu suchen, hieß es damals. Die Empfehlung sei nur eine Steilvorlage für die Politik zur gesetzlichen Regelung lautete ein anderer Vorwurf. Und in der Tat kam ja auch dann die gesetzliche Quote.

Klaus-Peter Müller:

Im Vordergrund stand das Unternehmensinteresse. Wir wollten mit unserer Empfehlung dazu beitragen, dass die Unternehmen mit den besten Kompetenzen geführt werden. Wenn wir damit auch positiv zu einer gesellschaftspolitischen Debatte beigetragen haben, gerne. Veränderung führt immer zu Kritik. Der Mensch ist von Natur aus nicht unbedingt veränderungsbereit, vor allem dann nicht, wenn man auf den ersten Blick glaubt, dass doch alles bestens läuft. Die Kritik muss man dann aushalten.

BOARD:

Und der Vorwurf der Steilvorlage?

Klaus-Peter Müller:

Zwei Mal hat der Gesetzgeber interveniert. Das erste Mal bei der Transparenz der Vorstandsbezüge und dann bei der Repräsentanz von Frauen in Aufsichtsräten. Und beide Male wäre es nicht nötig gewesen, wenn die Unternehmen den Kodex umgesetzt beziehungsweise nachvollziehbar dargelegt hätten, warum man einer Empfehlung nicht folgt. Sowohl bei der Transparenz der Vorstandsvergütung wie auch dem Thema Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten ging alles in die richtige Richtung. Die Tendenz stimmte. Aber leider hat der eine oder andere Unternehmensvertreter mit seiner Kritik und seinem Verhalten den Politikern in die Hand gespielt, die schon immer der Meinung waren, dass eine starre gesetzliche Regelung besser ist als ein flexibler Kodex.

BOARD:

Ist das Gesetz denn wirklich schlechter als der Kodex?

Klaus-Peter Müller:

Die gesetzliche Regelung zur Vorstandsvergütung hat nachweislich dazu geführt, dass die Vergütung insgesamt eher nach oben als nach unten gegangen ist. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, war dies eigentlich nicht die Intention der Politik. Aber es ist genau das eingetreten, was wir vorausgesagt hatten.

BOARD:

Was würde Sie heute anders machen, wenn Sie noch einmal die Regierungskommission leiten würden?

Klaus-Peter Müller:

Ich würde noch stärker das Gespräch mit der Politik suchen, vor allem dann, wenn es keine konkreten Gesetzesvorschläge zu diskutieren gibt. Dies ist umso wichtiger in Zeiten, in denen Unternehmerinnen und Unternehmer immer weniger in den Parlamenten repräsentiert sind. Wir müssen uns erklären, damit wir nicht falsch verstanden werden.

BOARD:

Derzeit wird eine Reform der Hauptversammlung diskutiert. Aktionäre sollen ihre Fragen vorher einreichen. Zudem sollten Anträge grundsätzlich 14 Tage vor einem Aktionärstreffen bekannt gemacht werden müssen, damit sich andere Anteilseigner früh eine Meinung bilden könnten. Vermehrt finden Hauptversammlungen nur noch virtuell statt. Aktionärsvertreter sehen die Rechte von Anteilseignern beschränkt und die Aktionärsdemokratie beschädigt. Sie haben als Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank eine Reihe von kritischen Hauptversammlungen geleitet. Wie sehen Sie die Debatte?

Klaus-Peter Müller:

Nicht jede Hauptversammlung war vergnügungssteuerpflichtig. Aber da darf man auch nicht zu empfindlich sein, so lange die Kritik sachlich bleibt. Für eine lebendige Hauptversammlung, die auch die Aktionärsvertreter wollen, wäre es wichtig, dass wir der Verrechtlichung der Corporate Governance insgesamt und der der Hauptversammlung entgegentreten. Alles was darauf einzahlt, ist aus meiner Sicht zu begrüssen, weil es die Diskussion und den Dialog befördert. Fakt ist, dass man nicht vernünftig miteinander reden kann, wenn jedes Wort zuvor juristisch überprüft werden muss. Die Schweiz hat meiner Meinung nach ein recht vernünftiges System. Es fördert, den Dialog und gibt der Versammlungsleitung die notwendige Flexibilität, zum Beispiel, um dafür Sorge zu tragen, dass sich die Diskussion auf das Unternehmen konzentriert und die Generalversammlung kein Ort für allgemeine politischen Debatten wird.

BOARD:

Sollen sich Unternehmen aus der Politik raushalten? Ein ehemaliges Mitglied der Regierungskommission hat vor ein paar Wochen öffentlich kritisiert, dass sich die Wirtschaft nicht mehr einmische.

Klaus-Peter Müller:

Unternehmen agieren nicht im Vakuum. Sie sind Teil der Gesellschaft und damit auch Teil des Dialogs. Und die Menschen erwarten auch, dass Unternehmerinnen und Unternehmer Teil des gesellschaftlichen Dialogs sind, wie das Edelmann Trust Barometer jedes Jahr aufs Neue zeigt. Ich habe mich immer engagiert und das Engagement anderer begrüßt. Eine lebendige Demokratie lebt davon, dass wir alle mitmachen, versuchen, es jeden Tag besser zu machen. Da wäre es schade und nicht im Interesse des Landes, also gewissermaßen schlechte Governance, wenn ein Kompetenzträger, wie die deutschen Unternehmen, sich selber aus dem Spiel nimmt.

Zurück zur Übersicht